ZVEI Geschäftsführer Klaus Jung und OBO Geschäftsführer Michael Büenfeld im Gespräch

Das Thema Digitalisierung nimmt auch für Branchen wie die Elektroindustrie immer weiter an Bedeutung zu. Die Corona-Pandemie hat diese Entwicklung noch beschleunigt. Grund genug, diese Ausgabe des OBO Blicks unter das Leitthema Digitalisierung zu stellen. Wir freuen uns, Klaus Jung, Geschäftsführer des Fachverbandes Elektroinstallationssysteme im ZVEI, und OBO Geschäftsführer Michael Büenfeld als kompetente Interviewpartner zu diesem Thema begrüßen zu dürfen. Im Interview mit dem OBO Blick beantworten sie einige richtungsweisende Fragen dazu, wie die Digitalisierung die Elektroindustrie aber auch Messen, Kundenevents und Vertriebsstrukturen verändert hat und in Zukunft weiter verändern wird.

ZVEI Geschäftsführer Klaus Jung
ZVEI Geschäftsführer Klaus Jung
OBO Geschäftsführer Michael Büenfeld
OBO Geschäftsführer Michael Büenfeld

Die fortschreitende Digitalisierung hat schon zu einigen Veränderungen in der Branche geführt. Was glauben Sie, in welchen Marktveränderungen die Digitalisierung in Zukunft noch sichtbar werden wird?

Klaus Jung: „Das Thema Digitalisierung ist einer der zentralen Treiber, die unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaftsabläufe in der kommenden Dekade verändern werden. Sie wird sowohl die Unternehmenspraxis als auch den Elektroinstallationsmarkt beeinflussen. Die Grundlage der Digitalisierung ist die Vernetzung von Dingen, Prozessen und Menschen. Das Thema BIM – also Building Information Modeling – spielt dabei eine große Rolle und wird in Zukunft noch weiter an Bedeutung gewinnen. Es verändert die Abläufe bei unseren Kunden und hat Auswirkung auf die Vermarktung. Aber auch die Vertriebsstrukturen werden immer stärker online-basiert sein und Kunden-Veranstaltungen werden mehr und mehr durch digitale Events ergänzt und verändert werden.“

Michael Büenfeld: „Ein gutes Beispiel für einen gelungenen Digitalisierungsprozess ist in diesem Zusammenhang die Umsetzung und Implementierung von ELBRIDGE in der Branche. Der B2B-Markt hinkt aufgrund seiner Struktur oftmals etwas hinterher, wenn es um die Digitalisierung geht. Aber mit ELBRIDGE haben wir gezeigt, dass unsere Branche in Verbindung mit guter Verbandsarbeit dazu in der Lage ist, digitale Projekte auch gemeinsam umzusetzen. So schaffen wir es zusammen, den Kunden in den Mittelpunkt zu stellen.“

Wenn Sie eine Prognose geben sollten: Wie genau wird sich die Digitalisierung auf Messen und Kundenevents auswirken?

Klaus Jung: „Die Entwicklung einer digitalen Reichweite wird Messen stärken. Die kommende Light & Building beispielsweise wird sicher als hybride Messe stattfinden. Da wird es dann möglich sein, die Aktivitäten direkt vom Messestand aus zu teilen. Sogenannte „Match Making Tools“ werden es möglich machen, Kunden digital über Plattformen zu beraten und so auch Verknüpfungen zum Messestand herzustellen. So kann die Reichweite erhöht werden, indem
beispielsweise auch Kunden, deren Interesse für einen Messebesuch nicht ausreicht, dezidiert informiert werden können. Kommunikationswege wie Webkonferenzen werden sich weiter etablieren. Durch Corona und den steigenden Anteil mobiler Arbeit haben auch die Kunden diese Instrumente verinnerlicht. Das ist eine Entwicklung, die sich nicht mehr zurückdrehen lässt.“

Michael Büenfeld: „Hybride Messen sind auch für OBO ein Gewinn, denn so können wir eine deutliche Ausweitung erreichbarer Interessenten erzielen. Insbesondere auch international. Über die verschiedenen Wege der Online-Kommunikation können wir genauso intensiv mit einem Besucher kommunizieren wie auf dem Messestand. Ein weiterer Vorteil: Die digitalen Inhalte sind auch nach dem Ende einer Präsenzmesse weiterhin aktuell und abrufbar.“

Glauben Sie also, dass die Digitalisierung auch die Vertriebsstrukturen verändern wird?

Michael Büenfeld: „Die Digitalisierung wird die Arbeit des Vertriebs unterstützen, weiter qualifizieren und auch effizienter machen. Grundlage dafür bleiben aber auch weiterhin gute persönliche Beziehungen zwischen Menschen. Wir haben durch Corona gelernt, Tools wie Microsoft Teams oder Skype zur Kommunikation einzusetzen. Der funktionierende Einsatz dieser Tools baut aber auf persönlichen Beziehungen auf, die vor Corona entstanden sind. Es wird spannend sein zu sehen, wie das Zusammenspiel persönlicher Kontakte und digitaler Kommunikation in Zukunft funktionieren wird. Denn ausschließlich auf digitale Tools zu setzen, ist zu kurz gedacht. Auch in Zukunft werden Geschäfte zwischen Menschen gemacht, die als soziale Wesen ein natürliches Bedürfnis danach haben, sich persönlich zu treffen und auszutauschen. Nur so kann die Basis für Vertrauen entstehen oder weitergepflegt werden.“

Klaus Jung: „Ganz sicher wird die strategische Bedeutung von Datenmanagement für den Sales Prozess und den Geschäftserfolg essenziell werden. Das Elektrohandwerk will Zugriff auf Produktdaten bekommen, um diese automatisch in die jeweilige Planungs- und Kalkulationssoftware einlesen und Betriebsprozesse so digitalisieren zu können. Als Reaktion darauf sehen wir gerade entstehende Angebote, bei denen aus Produkt-Stammdaten der Hersteller Geschäftsmodelle gemacht werden. Diese sind meistens aus der Daten-Not geboren und in ihrer Entstehung insofern nachvollziehbar. Bei mangelnder Koordination besteht für die Hersteller jedoch die Gefahr, dass der Zugang zu Produktdaten limitiert oder kanalisiert werden kann. Der VEG und der ZVEI sehen es daher als notwendig an, dass die Stammdaten zentral und offen allen drei Vertriebsstufen zur Verfügung gestellt werden. Deshalb hat der ZVEI ein Zielbild für die Datenabläufe in der Branche entwickelt. Basierend auf demokratischen Strukturen werden Produkt-Stammdaten, Klassifikationen und Schnittstellen in einem Verein durch alle Marktteilnehmer regelbasiert erarbeitet und dem Markt zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus können sich dann Daten-Veredlungsprozesse im freien Markt entwickeln.“

Noch ein weiterer Bereich wird von der Digitalisierung stark beeinflusst werden: Was bedeutet die Digitalisierung für das Leadership im Unternehmen?

Klaus Jung: „Hersteller haben sich bisher über Produkte differenziert und viel in Fertigung, Produktentwicklung und Vertrieb investiert. Zukünftig wird man sich aber auch über Services abgrenzen und deshalb in Prozesse investieren müssen.“

Michael Büenfeld: „Das haben wir bei OBO bereits früh erkannt und schon umgesetzt. Wir haben mit dem Ausbau digitaler Initiativen darauf reagiert. Wir bieten unseren Kunden einerseits Mehrwerte in Form von Zeitersparnis und Arbeitserleichterung durch unsere Produkte. Andererseits aber eben auch durch Serviceangebote und entsprechende digitale Anwendungen. Beispiele dafür sind die Planungssoftware OBO Construct, das Angebot der Online-Seminare an der OBO Academy oder verschiedene Tools auf unserer Homepage, wie die Merkzettel-Funktion oder die Händlersuche. Einige davon werden in dieser Ausgabe unseres OBO Blicks auch noch genauer vorgestellt. Ein weiteres Beispiel ist das bereits von Ihnen, Herr Jung, angesprochene Building Information Modeling. Auch hier unterstützen wir unsere Kunden, indem wir ihnen BIM-Daten zu den verschiedenen OBO-Produktgruppen auf unserer Homepage und auf den gängigen Plattformen zum Download bereitstellen.“

Was macht für Sie die große Bedeutung von BIM aus?

Michael Büenfeld: „BIM ist als digitaler Ansatz in der Planungsmethodik sowohl in Deutschland als auch international ein immer wichtiger werdendes Thema. Planungs- und Bauprozesse sowie der gesamte Gebäudelebenszyklus lassen sich anhand von umfangreichen digitalen Modellen simulieren und optimieren. Für alle Projektbeteiligten bietet dieser Ansatz erhebliche Vorteile, da sie jederzeit Zugriff auf sämtliche Dokumente der verschiedenen Gebäudekomponenten haben. Das erhöht die Planungssicherheit und senkt den Fehleranteil. Außerdem ist der Einsatz von BIM seit Ende letzten Jahres ein verbindliches Kriterium für die Vergabe öffentlicher Aufträge für den Bundesinfrastrukturausbau und den infrastrukturbezogenen Hochbau. Indem wir die BIM-Daten für die verschiedenen OBO-Produktgruppen bereitstellen, unterstützen wir Planer dabei, dieses Kriterium zu erfüllen. Für die Zukunft planen wir hier eine deutliche Erweiterung und einen Ausbau des Themas, um den Servicegrad sowie die Inhalte und Eigenschaften der BIM-Objekte zu verbessern.“

Klaus Jung: „Mit BIM wird das digitale Abbild eines Gebäudes geschaffen. Damit das möglich wird, müssen die einzelnen Prozessschritte und Produkte datentechnisch erfasst werden. Die einheitliche Beschreibung aller Bauprodukte ist also eine Grundvoraussetzung dafür, dass BIM funktioniert. Nur so kann eine Planungssoftware die Produkte eindeutig darstellen. Für Hersteller wird das Thema BIM auch dadurch konkreter, dass die Elektrofachplaner zusehends digitale Produktdaten benötigen. Nur wer Top-Produktdaten in der richtigen Granularität liefert, bleibt in der Ausschreibung dabei. Die Vorvermarktung gerade im Objektgeschäft wird stärker von digitalen Services abhängig werden als es heute der Fall ist.“

Inwieweit gestaltet der ZVEI den BIM-Prozess mit?

Klaus Jung: „Jedes sichtbare Produkt braucht ein sogenanntes BIM-Objekt, um das digitale Abbild des Gebäudes zu erhalten. Deshalb sprießen die BIM-Dienstleister nur so aus dem Boden und beschreiben Produkte nach herstellerspezifischen Vorgaben der Softwareanbieter. Aufgrund fehlender BIM-Standards produziert der herstellerspezifische Datenprozess erhebliche Prozesskostensteigerungen und die Produktdaten kommen in fremde Hände. Die Dienstleister wissen sehr schnell über die Produktwelten und die Montage verschiedener Produkte Bescheid. Die BIM-Bibliotheken können, wenn der Prozess ungestört weiterläuft, in eine zentrale Marktrolle schlüpfen. Um diese Entwicklung zu unterbrechen, haben ZVEI und VEG die BIM-Standardisierung selbst in die Hand genommen. In Kürze wird das ETIM BIM Portal mit standardisierten Templates eröffnet.“

Das Redaktionsteam des OBO Blicks bedankt sich herzlich bei Michael Büenfeld und Klaus Jung für das Interview und die sehr interessanten Einschätzungen zur Entwicklung der Elektroindustrie und den Einfluss der Digitalisierung auf die Branche.